Wichtige Elemente für ein QMS nach ISO 80079-34

Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer EU- Baumusterprüfbescheinigung!

Ja, ihr Unternehmen ist einen großen Schritt in Richtung Markteintritt für explosionsgeschützte Geräte, Komponenten oder Schutzsysteme gegangen.

Sicher war es ein anstrengender und teilweise langatmiger Prozess. Da war zum einen die Prüfstelle mit ihren vielen Fragen (und langen internen Abstimmungen und praktischen Laborprüfungen), zum anderen die Kollegen mit Fragen, wie z.B. “Warum dauert das eigentlich so lange?” oder “Lohnt sich das ganze wirklich?”.

Alles wird gut, oder?

Spätestens im letzten Drittel des Baumusterprozesses – hoffentlich früher – stellt sich die wichtige Frage, wie man eigentlich die Überwachung für das “gebaumusterte” in Angriff nehmen will. Audit, ja oder nein? Vielleicht haben Sie aber schon eine QM- Mitteilung? Dann müssen Sie das neue Zertifikat in die bestehende Überwachung “integrieren”.

Ja, genau – das Zertifikat alleine reicht nicht aus. Die gleiche oder eine andere Prüfstelle – je nach Wahl – ist zu involvieren, die die sogenannte „Zertifikatstreue“ überwacht. Hier findet nun die Norm ISO 80079-34 ihre Bedeutung. Es ist quasi die Qualitäts- Bibel von Herstellern für explosionsgeschützten Geräten, Komponenten und Schutzsystemen.

Die Norm ISO 80079-34 legt Anforderungen an ein Qualitätsmanagementsystem fest, das von einer Organisation für die Herstellung von Ex-Produkten und bei Ex-Dienstleistungen angewendet werden kann. Und sie wird ebenfalls von dritten Stellen, einschließlich Zertifizierungsstellen, zur Bewertung der Fähigkeit der Organisation, die Konformitätsbewertung der Systemanforderungen und/oder gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, angewendet.

Sie haben bereits ein Qualitätsmanagementsystem?

Die Anwendung der ISO 80079-34 ist vorgesehen sowohl für elektrische als auch nicht-elektrische Geräte, Schutzsysteme, Sicherheitseinrichtungen, Ex-Bauteile (Komponenten) und ihre Kombinationsmöglichkeiten.

Aber bevor Sie nun total traumatisiert weiterlesen…hier eine Frage – Hat Ihr Unternehmen bereits ein valides (akkreditiertes) ISO 9001 Zertifikat? Ja? Sehr gut. Die Norm ISO 80079-34 sollte bzw. muss in Verbindung mit der ISO 9001:2015 gelesen werden.

Ist ein Unternehmen bereits nach ISO 9001:2015 zertifiziert, werden bereits ca. 80% der Forderungen der ISO 80079-34 abgedeckt. Klingt fantastisch, oder?

Aber was sind nun dieses 20%? Diese restlichen Anforderungen haben einen direkten Zusammenhang mit ihrer o.g. Baumusterprüfbescheinigung! Deshalb heißt es ja auch Überwachung. Die Prüfstelle, die in den Überwachungsprozess eingebunden ist (siehe 4- stellige Nummer neben dem CE Zeichen) will eine Frage mit der Überwachung beantworten: Ist die Zertifikatstreue gegeben?

Konkret: Wie stellt ihr gesamtes Qualitätsmanagementsystem sicher, dass genau nach den Vorgaben des Baumusters (Zertifikat) die Serienprodukte gefertigt und in Verkehr gebracht werden?

Ich könnte Sie jetzt mit den normativen Inhalten „nerven“. Auch könnte ich jetzt die Normenabschnitte runterrattern, so dass Sie keine Lust haben mehr weiterzulesen.

Aber was ich möchte ist, dass Sie verstehen, warum es überhaupt diese Norm gibt und was ihre Kernforderungen sind.

Gut zu wissen!

Sie finden in der Norm ISO 80079-34 viele Forderungen. Zum Glück hat mittlerweile die High Level Structure (HLS) ihren festen Einzug gefunden. So lassen sich die zusätzlichen Forderungen in Bezug zur ISO 9001 wesentlich besser einordnen (und auditieren!). Im Folgenden lesen Sie ganz konkret die Zusatzforderungen….

Wissen und Kompetenz

Die ISO 80079-34 beschreibt das sehr treffend: Der Hersteller muss über einen dokumentierten Prozess (= VA, AA, FB) verfügen, der erkennt und sicherstellt, dass alle Personen, die Einfluss auf die Konformität der Ex-Produkte haben, geschult und fachkundig sind.

Einfluss auf die Konformität der Ex-Produkte haben der/die Ex-Beauftragte(n), Dienste für Herstellung, Prüfung, Erprobung, Verkauf, Marketing, Beschaffungsmanagement, Kalibrierung und Qualitätskontrolle sowie sonstige Dienste. Also eigentlich alle, oder?

Schulungen (intern/extern) sollten dokumentiert werden und zum Nachweis sollte/muss z.B. eine Qualifikation-Matrix geführt werden.

Umgang mit nicht-konformen Produkten

Das letzte zuerst: Es sind gemäß ISO 80079-34 keine Zugeständnisse an Ex-Produkte erlaubt, die bewirken, dass die technische Beschaffenheit nicht mehr der Festlegung im Zertifikat und der technischen Unterlage entspricht. Mich überzeugt diese Forderung sehr!

Es muss ein dokumentiertes System geben. Die Ausmaß der Nicht- Konformität muss in Bezug zum Risiko bestimmte Maßnahmen auslösen (Produktrückruf, Service Einsatz, Umbau, Stoppen der laufenden Produktion, Lager sperren, Prüfstelle/n involvieren, Kunden kontaktieren, usw.). Wenn die Rückverfolgbarkeit nicht gegeben ist, so muss man die Nicht- Konformität und Maßnahmen öffentlich machen (Fachartikel, Fachpublikationen, usw.). Keine gute Werbung, oder? Aber es geht darum, dass ihr Produkt nicht zur wirksamen Zündquelle wird. Denken Sie an das Ex- Schutz- Dreieck!

Marktbeobachtung (Vigilanz)

Eine wichtige Herstellerpflicht – nicht nur bei ATEX!

Der Begriff „Vigilanz“ kommt eigentlich aus der Medizinprodukteverordnung (MDR). Aber er ist auch sehr passend für ATEX Hersteller. Es geht um die pro- aktive Marktbeobachtung. Die Vigilanz ist ein reaktives System, das auf Zwischenfälle reagiert. Es ist auch die pro- aktive Marktbeobachtung damit abdeckt (identisches Fehlerbild bei diversen Kunden = Systematischer Fehler am Produkt?).

Mit erwähnen möchte ich hier, wie das nationale/internationale Service Konzept dazu gestaltet wird. Je nach Komplexität der Produkte und Größe des Unternehmens kann sich das als größeres Projekt darstellen. Nicht zu vergessen ist das Ersatzteilgeschäft (Ex- relevante Ersatzteile müssen auch rückverfolgbar sein!).

Der Ex- Schutzbeauftragte (Abschnitt 5.3)

Daran geht kein Weg vorbei. Es muss einen oder mehrere schriftliche ernannte Ex- Schutzbeauftragte geben. Seine Verantwortlichkeiten und Befugnisse müssen dokumentiert sein (Beauftragungsschreiben, Arbeitsvertrag, usw.). Er sollte die Produkte kennen, er sollte die Zündschutzarten (und deren Integrität) sowie “seine” Organisation gut verstehen. Er ist Ansprechpartner / Kontaktperson für benannte Stelle mit Schnittstelle zum (integrierten) QMS und QMB. Er ist auch autorisiert für: Freigaben / Änderungen / Sonderfreigaben. Er muss auch die Schnittstelle zum Vertrieb und Marketing bzgl. Ex- Informationen sein. Selbstverständlich rundet sich das Profil damit ab, dass er Ansprechpartner für die Produktion / Herstellung sein soll. Und wenn Sie mehr als einen Standort haben wird je Ex- Standort ein Ex- Schutzbeauftragter gefordert. Selbstverständlich kann die Ex- Beauftragte auch weiblich sein. Das ist keine Abweichung zur Norm (falls die Vermutung entsteht).

Eine solide regelmäßige Schulung ist sehr empfehlenswert. Viele Prüfstellen und andere Anbieter bieten Seminare an. Die Inhalte sind aber meistens recht allgemein (wer muss schon alle Zündschutzarten kennen?) und nehmen nicht immer Bezug zu Ihrem Portfolio.

Steuerung von externen Dienstleistern (Abschnitt 8.4))

Verantwortung kann man nicht delegieren oder outsourcen. Externe Anbieter, die ein Produkt, einen Prozess oder eine Dienstleistung bereitstellen, welche die Übereinstimmung des Ex-Produkts mit dem Zertifikat beeinträchtigen kann, dürfen nur ausgewählt werden, nachdem eine Beurteilung (z.B. Lieferantenaudit) den Nachweis erbracht hat, dass sie die Fähigkeit besitzen, die Übereinstimmung mit allen festgelegten Anforderungen sicherzustellen. Ideal also, wenn ihr Lieferant bereits eine eigene Überwachung nach ISO 80079-34 (z.B. QM- Mitteilung) hat. Wenn nicht, dann müssen Sie ein Audit durchführen (ggf. mit ihrer Prüfstelle) oder anders nachweisen, dass der Lieferant „fähig“ ist. Alles das können Sie mit einer QSV und einer Konformitätserklärung (Anhang C/D, IEC 17050) je Lieferlos/Batch/Charge gut untermauern.

Vorlage für eine solche Erklärung (R. Stahl, direkter Download): hier klicken

Archivierungspflicht

Ganz einfach. 10 Jahre. Aber für jedes einzelne Produkt? Für das letzte in Verkehr gebrachte? Das steht in der Norm nicht so schön. Die ATEX Richtlinie bzw. ATEX Leitlinie beschreibt das m.E. besser und das folgende Bild soll hier Klarheit schaffen.

In dem gezeigten Beispiel muss also die relevante Dokumentation der Produkte aus 2018 auch noch bis 2038 archiviert werden (also 20 Jahre!).

Achtung für Hersteller “Nicht-elektrischer Produkte”: Auch wenn “nur” hinterlegt wird und keine  Überwachung gefordert ist; Eine Hinterlegung für z.B. 5 Jahre deckt nur einen Archivierungszeitraum von 15 Jahren (10 Jahre + 5 Jahre in Verkehr bringen) ab. Denken Sie daher frühzeitig an eine Verlängerung.

Stückprüfung ihrer Produkte (z.B. Anhang A)

Wenn ihr Zertifikat Stückprüfungen oder -inspektionen festlegt, müssen diese ggf. an jedem einzelnen Produkt durchgeführt und dokumentiert werden. Stichproben sind auch möglich. Sie dürfen entweder vom externen Anbieter (Lieferanten) oder vom Hersteller selbst durchgeführt werden. Hier bekommen Sie auch gute Hinweise in den jeweiligen Abschnitten der Normen für ihre gefertigten Zündschutzarten EN 60079-ff und ISO 80079-ff (siehe immer in den Abschnitten für Stückprüfungen) und dem Anhang A (informativ) der ISO 80079-34. Ihr spezielles Prüfprogramm ergibt sich also (immer) aus den beiden o.g. Anforderungen mit ggf. produktspezifischen Erweiterungen.

Prüf/Messmittel für Stückprüfungen

Wenn Überwachung oder Messungen zur Verifikation der Konformität von Ex-Produkten stattfinden, muss das Messmittel kalibriert sein und über ein gültiges Kalibrierzertifikat verfügen. “Wer viel misst, misst viel Mist” – Stellen sie sich vor, dass ein völlig falsches (aber korrekt angezeigtes) Ergebnis bei der Stückprüfung herauskommt. Dies könnte durchaus zur wirksamen Zündquelle bei ihren Kunden führen!

Beispiele sind: Abmessungen von Spalten (Ex d, Ex nR, usw.), elektrische Größen (U, I, R, L, C, P, usw.), zeitliche Größen (Ex p, Spülzeiten, Abschaltzeiten, usw.) oder Drehmomente/Kräfte.

Rückverfolgbarkeit (Traceability)

Sie müssen ein Verfahren für die Identifizierung des Produkts während aller Produktionsstufen, Zwischen- und Endprüfungen und der Auslieferung festlegen und aufrechterhalten. Die Rückverfolgbarkeit ist für das Endprodukt und dessen wichtige Teile erforderlich. Rückverfolgbarkeit kann mittels einer Serien- oder Losnummer oder eins anderen annehmbaren Verfahrens (FISO, Zeitstempel, usw.) erreicht werden.

Wichtige Teile sind: Leiterplatten, Baugruppen, Ex-i relevante Bauteile, Gehäuse, Dichtungen, Kabelverschraubungen, andere verwendete Ex- Geräte und Komponenten, Akkus, usw.

Änderungsmanagement

Der oder die Ex-Beauftragte/n muss bzw. müssen bei allen Änderungen, die Auswirkungen auf die Konformität von Ex-Produkten haben könnten, einbezogen werden, z.B.:

  • Änderungen von Lieferanten
  • Änderungen von Zulieferteilen
  • Änderungen am Produkt (Entwicklungsabteilung)
  • Änderungen an Produktionsprozessen
  • Änderungen an Prüf- und Verifikationsprozessen
  • Änderungen in der externen Kommunikation
  • usw.

Beispiel: Der Wareneingang hat (voller Stolz) ein völlig neues Messverfahren (3D Messmaschine) für die Vermessung von druckfest gekapselten Gehäusen (Ex d) etabliert. Beim Audit zeigt sich, dass das mit der Prüfstelle Messprogramm aber leider nicht korrekt implementiert wurde. Der Ex- B wäre hier sicher der richtige Ansprechpartner gewesen.

Interne Audits (Abschnitt 9.2)

Ein Auditprogramm muss sicherzustellen, dass die Ex-Produkte mit dem Zertifikat übereinstimmen. Die maximale Dauer zwischen Audits darf 14 Monate nicht überschreiten.

Es bietet sich hier ein Vertikal Audit an, dass die gesamte Wertschöpfungskette abdeckt (Einkauf, Disposition, Wareneingang, Bereitstellung, Fertigung, Prüfungen, Verpackung, Versand, Service, usw.). Die Stützprozesse schaut man sich dann parallel an (Kalibrierdienst, Quali Matrix, Prüflisten, Schulungen).

Managementbewertung (Abschnitt 9.3)

Die Höchstabstände zwischen den Bewertungen dürfen 14 Monate nicht überschreiten Die oberste Leitung muss den Vorsitz der Bewertung führen;

Der/die Ex-Beauftragte(n) muss bzw. müssen an der Bewertung “teilnehmen”. Die Bewertung muss die Gesamtwirksamkeit des Qualitätsmanagementsystems hinsichtlich Ex-Produkte umfassen, einschließlich der Ergebnisse aus internen und externen Audits.

Hier bietet sich ein Jahresbericht des Ex-B an; mit allen relevanten Informationen. Dieser Bericht kann dann z.B. in den Gesamtbericht übernommen und integriert werden. Typische Informationen sind die Anzahl der verkauften Produkte, Nicht-Konformitäten, Lieferantenthemen, Schulungen, interne Audits, externe Audits, Portfolio Erweiterungen, neue Applikationen/Branchen, usw.

Dokumentiere, gelenkte Informationen

Das Kernstück ihrer Nachweise im Audit. Der Puls des Auditor sinkt schnell, wenn sie über alle bisher beschriebenen Anforderungen auch das passende Dokument vorzeigen können.

Alle Dokumente die in Bezug zum Zertifikat stehen müssen gelenkt und quasi im Machtbereich des Ex- Schutzbeauftragten liegen (Freigabe, Autorisierung, usw.). Daher erscheint häufig das ATEX HEXAGON und der Ex-B im Zeichnungsberechtigt/Dokumentenfeld.

Des Weiteren muss es einen dokumentieren Prozess geben, der sich rund um die jährliche Überprüfung aller zertifikatsbezogenen Rechtsakten (Richtlinie, Normen, technische Regeln, Zeichnungen, usw.) und der o.g. Dokumente (z.B. VA, AA, FB) dreht. Resultierende Maßnahmen sind zu dokumentieren.

Selbstverständlich machen Dokument alleine das Produkt nicht sicher. Aber es ist eine solide Grundlage. Theorie muss immer durch Menschen in die Praxis übersetzt und übertragen werden. Sonst ist sie komplett wirkungslos. Denn wie es schon ganz oben steht:

“Die Theorie ist nicht die Wurzel, sondern die Blüte der Praxis”
(Ernst von Feuchtersleben, 1837).

Zusammenfassung

Wow, als ich mit diesem Fachartikel anfing habe ich nicht geahnt, dass er so umfangreich wird. Ich wollte aber alle wesentlichen Anforderungen zeigen. Dennoch ist die Liste nicht vollständig. Hier und da bin zu ungenau geblieben und einige Dinge habe ich gar nicht erst erwähnt.

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Bei Fragen stehe ich Ihnen wie immer sehr gerne zur Verfügung. Ihr Thorsten Germersdorf.

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