Eine Maschine, viele Richtlinien – Wechselbeziehungen bewerten

In der Theorie wird häufig über das Einhalten einer bestimmten Richtlinie gesprochen. In der Praxis, insbesondere im Maschinenbau, treffen doch recht häufig unterschiedliche Richtlinien aufeinander. Die Herausforderung für Hersteller ist hier eindeutig geregelt:

  • Es müssen alle (!) zutreffenden Richtlinien angewendet werden.

Die CE- Kennzeichnung drückt die Konformität des Produktes mit allen anzuwendenden Rechtsakten aus. Wenn nun aber verschiedene CE- Richtlinien zutreffen, sollte man als Hersteller die Wechselbeziehung, Anwendungsbereiche und auch die möglichen gegenseitigen Ausschlüsse verstanden haben.

In diesem Artikel versetzen wir uns in die Lage eines Herstellers für Verpackungsmaschinen in der Kosmetikbranche (Deo, Haarspray, After Shave)

Beispiel: Verpackungsmaschine in der Kosmetik Branche

Folgende Richtlinien kommen in unserem Beispiel parallel zur Anwendung:

  • Maschinenrichtlinie 2006/42/EG
    • Grund: Es handelt sich um eine vollständige Maschine im Sinne der Richtlinie.
  • EMV Richtlinie 2014/30/EU
    • Grund: Es werden Frequenzumrichter für diverse Antriebe eingesetzt.
  • Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU
    • Grund: Einsatz von SKR im Sinne der ATEX 2014/34/EU.
  • Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU
    • Grund: Für pneumatische Ausschleuse- Einrichtungen (sog. Pusher) werden pneumatische Antriebe / Kolben verwendet, Kategorie des Druckgerätes „2“
  • ATEX Richtlinie 2014/34/EU
    • Grund: Die Maschine soll in Ex Atmosphäre eingesetzt werden (Propan/Butan)

Wie verhalten sich die anzuwendenden Richtlinien nun zur Maschinenrichtlinie 2006/42/EG?

1. Verhältnis zur EMV Richtlinie 2014/30/EU

Anwendungsbereich (vereinfacht): Betriebsmittel und Netze, die elektromagnetische Störungen verursachen (Emission) können oder deren Betrieb durch entsprechende elektromagnetische Störungen beeinträchtigt werden könnte (Absorption).

Ergebnis: Die EMV-Richtlinie und die dazu harmonisierten Normen sind gemeinsam mit der Maschinenrichtlinie anzuwenden.

2. Verhältnis zur Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU

Anwendungsbereich (vereinfacht): Elektrische Produkte / Netze die bei Spannungen zwischen 50V und 1000V Wechselspannung und 75V und 1500V Gleichspannung betrieben werden.

Ergebnis: Die Maschinenrichtlinie grenzt sich hinsichtlich der erfassten Produkte klar von der Niederspannungsrichtlinie ab, so dass immer nur eine der beiden Richtlinien zur Anwendung kommt. (siehe auch MRL, Anhang I, Ziffer 1.5.1)

3. Verhältnis zur Druckgeräterichtlinie 2014/68/EU

Anwendungsbereich (vereinfacht): Gilt für Herstellung, Auslegung und Konformitätsbewertung von Baugruppen und Druckgeräten mit einem Druck von mehr als 0,5 bar.

Ergebnis: Die Druckgeräterichtlinie wird nicht zusammen mit MRL angewendet bei Erzeugnissen, die nur unter Kategorie I  fallen. Die Kategorie 1 Risiken werden von der MRL abgedeckt.

4. Verhältnis zur ATEX Richtlinie 2014/34/EU

Anwendungsbereich (vereinfacht): Geräte, Komponenten und Schutzsysteme für die Verwendung in explosions­gefährdeten Bereichen.

Ergebnis: Hier ist das Verhältnis recht interessant. Die Risiken bzgl. einer Explosion werden auch im Anhang I (Punkt 1.5.7 ) der Maschinenrichtlinie erwähnt. Hier ist es von großer Wichtigkeit, ob die Maschine im (!) Ex Bereich ist, selbst Ex- Atmosphäre im Inneren führt, eigene Freisetzungsquellen (Klappen, Ventile, Türe) hat, usw.

Hier verweise ich auf einen sehr interessanten Artikel der PTB.

Besonderheit: ATEX 2014/34/EU und NSpRL 2014/35/EU

Beispiel: Schaltschrank mit SKR im nicht im Ex- Bereich

Generell gilt: Produkte zur Verwendung in explosionsgefährdeten Bereichen sind ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich der Niederspannungsrichtlinie 2014/35/EU ausgeschlossen.

Nicht ausgeschlossen vom Anwendungsbereich der Niederspannungsrichtlinie sind die in Artikel 1, Absatz 1, Buchstabe b der Richtlinie 2014/34/EU genannten Sicherheits-, Kontroll und Regelvorrichtungen (Kurz: SKR) für den Einsatz außerhalb von explosionsgefährdeten Bereichen, die jedoch für den sicheren Betrieb von Geräten und Schutzsystemen erforderlich sind oder dazu beitragen.

Das betrifft beispielsweise Auslösegeräte, Trennschaltverstärker oder Auswertegeräte.

In diesen Fällen sind beide Richtlinien gleichzeitig mit der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG anzuwenden, selbst wenn die Maschinenrichtlinie 2006/42/EG die Niederspannungsrichtlinie ausschließt.

Ich hoffe, dass ich mit diesem Artikel die besonderen Herausforderungen für Hersteller beim Einsatz verschiedener zutreffenden Richtlinien erläutern konnte. Selbstverständlich ist dieser Beitrag nicht erschöpfend und soll vielmehr ein Impuls sein. Nicht erwähnt bleiben hier u.a. die ggf. nötige Einbindung einer notifizierten Stelle,  Aspekte des Hygienic Designs, HACCP oder auch weitere Anforderungen der zutreffenden Branche.

Ihr Thorsten Germersdorf
GERMERSDORF BERATUNG